Der zweite Veranstaltungstag des ILS 2025 stand ganz im Zeichen von Nachhaltigkeit, Circular Economy und wissenschaftlicher Verantwortung. Während Politik und Wirtschaft über Strategien und Rahmenbedingungen sprachen, zeigte die Montanuniversität Leoben mit vier Impulsen eindrucksvoll, wie Forschung den Übergang von linearen Modellen zu echten Wertstoffkreisläufen gestaltet – fundiert, quantifizierbar und mit hohem Praxisbezug.
Die wissenschaftlichen Beiträge machten vor allem eines deutlich: Kreislaufwirtschaft ist ein interdisziplinärer Umbau unserer Produktions-, Verbrauchs- und Entsorgungslogik. Und er beginnt dort, wo man es oft nicht erwartet: bei alltäglichen Produkten, in Lieferketten, in der Ausbildung – und in der Frage, wie wir den Wert eines Materials oder einer Handlung überhaupt bemessen.
Logistik beim Recycling von Wintersportartikeln
Beitrag von: David Zidar, Department Kunststofftechnik
Den Auftakt bildete David Zidar, der das Publikum direkt auf die Skipiste mitnahm – und damit in eine Wertschöpfungskette, die kaum jemand in Verbindung mit Kreislaufwirtschaft bringt.
Zidar untersuchte im Projekt WINTRUST (Winter Sports Resource Efficiency and Improved Circular Economy), wie eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft für die Wintersportbranche aussehen kann. Denn die zentrale Frage lautet: Was passiert mit Ski-Equipment, wenn es ausgedient hat?
Der Status quo: Die meisten Ski und Stöcke landen im Sperrmüll, werden verbrannt und gehen damit als Ressource ein für alle Mal verloren.
WINTRUST zeigt einen anderen Weg:
- 70 Sammelstellen wurden in einer Testregion eingerichtet.
- Eine digitale Kartenlösung (inkl. Google-Maps-Verknüpfung) erleichtert die Suche nach Abgabestellen.
- Gemeinden, Händler, Recycler und Konsument:innen arbeiten erstmals strukturiert zusammen.
Der entscheidende Punkt: Die Hürde muss niedrig sein.
Menschen wollen richtig entsorgen – oft fehlt nur die Möglichkeit.
Zidar betonte daher, dass Kreislaufwirtschaft bei Bildung und Bewusstseinsbildung beginnt, aber nur durch Systemdesign erfolgreich wird.
Sein Appell: „Wenn wir die Entscheidung einfach machen, entscheiden sich Menschen auch für den Kreislauf.“

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Der Ressourcenkreisverkehr: Von der linearen zur echten Kreislaufwirtschaft
Beitrag von: Therese Bouvier-Schwarz, Lehrstuhl für Abfallverwertungstechnik
Im zweiten Vortrag führte Therese Bouvier-Schwarz in das Herzstück wissenschaftlicher Kreislaufwirtschaft: die Frage, wie Produkte gestaltet sein müssen, um überhaupt zirkulieren zu können.
Sie zeigte eindrucksvoll, wie dramatisch sich Produkte in den letzten Jahrzehnten verändert haben:
Während früher wenige Ausgangsmaterialien verbaut wurden, enthalten heutige Konsumgüter teilweise Dutzende Elemente des Periodensystems.
Die Konsequenz: Je komplexer das Produktdesign, desto schwieriger ist die Rückgewinnung der Wertstoffe – und desto unwahrscheinlicher ein echter Kreislauf.
Bouvier-Schwarz forderte daher:
- Design for Recycling statt Design für Funktion.
- Interdisziplinäre Teams, die frühzeitig ökologische Kriterien einbeziehen.
- Digitale Sortiersysteme, die mittels Sensorik und Machine Learning komplexe Stoffströme trennen können.
Sie brachte es auf den Punkt: „Das End of Life eines Produkts darf nicht das Ende einer Ressource sein.“
Damit wird Kreislaufwirtschaft als gestalterische Aufgabe sichtbar: Sie entsteht nicht am Ende der Kette, sondern am Anfang – im Design und in der Produktionsplanung.

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Dekarbonisierung, Circular Engineering, Engineering Education – Industrielogistik neu gedacht
Beitrag von: Manuel Woschank, Lehrstuhl für Industrielogistik
Mit Manuel Woschank verlagerte sich der Fokus von Materialien auf Systeme. Er zeigte, wie die Industrielogistik zum Schlüssel für nachhaltige Transformation wird – technologisch, organisatorisch und bildungsbezogen.
Sein Forschungsbereich verbindet Grundlagenforschung, internationale Kooperation und konkrete Industrieprojekte. Drei Schwerpunkte standen im Vordergrund:
Dekarbonisierung der Transportketten
In weltweiten Konsortien – u. a. mit dem MIT in den USA und Partnern in Australien – untersucht Woschanks Team, wie Logistik im Up- und Downstream CO₂-effizienter werden kann.
Dazu zählen:
- kombinierte Verkehrsträger,
- optimierte Routen,
- neue Transportkonzepte,
- datenbasierte Effizienzmodelle.
Circular Engineering & Industrial Logistics
Ziel ist der Wandel von linearen zu zirkulären Produktions- und Logistiksystemen. Dafür entwickelt die Montanuniversität:
- Reifegradmodelle,
- Transformations-Roadmaps,
- ökonomisch-ökologische Bewertungstools.
Engineering Education @ Industrielogistik
Woschank betonte, dass Ingenieur:innen der Zukunft Fähigkeiten brauchen, die weit über Technik hinausgehen:
Kooperation, digitale Kompetenzen, Nachhaltigkeitsverständnis – und die Fähigkeit, global zu denken.

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Nachhaltigkeit messbar machen – Monetarisierung ganzheitlicher Wertschöpfung
Beitrag von: Wolfgang Posch, Department Wirtschafts- und Betriebswissenschaften
Abschließend zeigte Wolfgang Posch, warum Nachhaltigkeit ohne Zahlen nicht wirken kann – und warum Zahlen ohne Kontext gefährlich sind.
Er stellte die zentrale Frage: Wie bemisst man ökologische und soziale Wirkung so, dass Unternehmen sie verstehen – und danach handeln können?
Posch erklärte die drei Nachhaltigkeitsdimensionen:
- Ökonomie – Profitorientierung und regulatorische Anforderungen.
- Ökologie – z. B. Single-Use-Plastics-Regulierung, Circular-Economy-Plan.
- Soziales – etwa Lieferkettengesetzgebung (CSDDD).
Um all diese Dimensionen bewertbar zu machen, müssen sie auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden – Monetarisierung.
Zwei Beispiele machten das sichtbar:
- Der Wert eines Wals: ca. 2 Mio. EUR, basierend auf CO₂-Bindungsleistung.
- Der Wert eines verhinderten Falls von Kinderarbeit: nur wenige tausend Euro – weil über das erwartete zusätzliche Einkommen berechnet.
Diese Beispiele zeigen: Bewertungssysteme sind unvollkommen – aber unverzichtbar.
Ein weiteres Instrument ist die Lebenszyklusanalyse (LCA), die sämtliche Umweltauswirkungen eines Produkts erfasst – inklusive Lieferkette.
Posch warnte jedoch: Die größte Herausforderung sei nicht die Berechnung, sondern Zugang zu Daten, besonders in Ländern mit geringer Transparenz.

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Fazit: Wissenschaft, die Verantwortung übernimmt
Die vier Beiträge bilden eine gemeinsame Botschaft:
Nachhaltigkeit entsteht, wenn Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam neue Wege gehen.
- Ressourcen werden dann geschont, wenn Produkte recycelbar gedacht werden.
- Logistiksysteme werden dann klimafreundlich, wenn Daten, Modelle und Kooperationen die Richtung vorgeben.
- Wirkung wird dann sichtbar, wenn sie messbar wird – in Zahlen, Daten und Entscheidungen.
- Kreislaufwirtschaft funktioniert dann, wenn alle Beteiligten Teil der Lösung sind.
Die Montanuniversität Leoben zeigt damit eindrucksvoll, dass wissenschaftliche Exzellenz und gesellschaftlicher Nutzen kein Widerspruch sind, sondern ein gemeinsames Ziel.
Ausblick: Warum wir das Thema 2026 noch stärker vertiefen werden
Die vier Beiträge der Montanuniversität Leoben haben eines deutlich gemacht: Nachhaltigkeit ist nicht nur ein wissenschaftliches Feld – sie ist ein strategisches Zukunftsthema, das Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gleichermaßen betrifft.
Für uns wird die Verbindung von Innovation, Forschung und gesellschaftlicher Verantwortung daher auch im Jahr 2026 ein Schwerpunkt bleiben.
Wir werden die vorgestellten Themen weiterverfolgen – von Circular Engineering über Datenmodelle für Nachhaltigkeit bis zu neuen Ausbildungswegen für die Fachkräfte von morgen – und sie gemeinsam mit unseren Partnern aus Industrie, Wissenschaft und Politik weiter vertiefen.
Der Logistiksommer 2025 hat gezeigt, wie groß der Bedarf an Austausch, Kooperation und wissenschaftlich fundierten Lösungen ist.
2026 wollen wir diesen Dialog ausbauen – mit neuen Formaten, neuen Stimmen und neuen Erkenntnissen.
Nachhaltigkeit ist ein Prozess. Und dieser Prozess geht für uns erst richtig los.


