Der Klimawandel ist eine der größten, wenn nicht DIE größte Herausforderung unserer Zeit. Wir alle wissen, dass unser Lebensstil komplett überdacht werden muss, um die globalen Klimaschutzziele nur ansatzweise rechtzeitig erreichen zu können. Aber wer fängt wo und wie an, bisher „gut funktionierende“ Prozesse zu ändern? Wer traut sich einen Paradigmenwechsel tatsächlich zu?
Effizienz, Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Transportlogistik
Die Europäische Union hat das Ziel ausgerufen, bis zum Jahr 2030 die Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase wie Kohlendioxid (CO2), Methan, Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid oder auch Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW) im Vergleich zum Jahr 1990 um mindestens 55 % zu reduzieren. Im Paket „Fit for 55“ finden sich Maßnahmen und Anregungen, wie man die EU-Rechtsvorschriften mit dem Ziel für 2030 in Einklang bringen könnte.
Aber reicht das wirklich aus? Nehmen wir beispielsweise CO2 . Um das 2°C-Ziel erreichen zu können, muss der Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 so schnell wie möglich auf maximal 2,3 Tonnen pro Jahr pro Kopf reduziert werden. Im Jahr 2021 lag die Pro-Kopf-Emission in der EU bei 7,8 Tonnen, in Österreich bei 8,7 Tonnen (Quelle: EEA greenhouse gases – data viewer im November 2023)!
WO kann konkret angesetzt werden, um unseren Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 um mehr als 70% zu senken?
Nachdem 32% des in Österreich emittierten CO2 aus dem Transportsektor stammt, befindet sich in dieser Branche ein großer Hebel. Es gibt nicht nur einen Lösungsansatz, sondern mehrere:
- Wachstum des Verkehrs besser organisieren
- Verkehrsträger intelligent nutzen und kombinieren
- Fahrzeuge und Infrastruktur teilen und deren Effizienz steigern
- energieeffiziente Fahrzeuge und Infrastrukturen implementieren
- Energieträger mit niedrigstem Energieverbrauch einsetzen
Geeignete Maßnahmen hierfür gibt es bereits – wir müssen diese auch leben!
Grundsätzlich müssen wir uns vom bisherigen Paradigma der allmählichen Veränderungen lösen – denn wir brauchen eine fundamentale Transformation
– so die Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität der Europäischen Kommission.
Fundamentale Transformation durch das Konzept Physical Internet
Vereinfacht gesagt ist das Physical Internet ein Konzept für Effizienz und Nachhaltigkeit im Güterverkehr und beinhaltet ein Neudenken und eine Reorganisation des Güterverkehrs und der Logistik.
Im Gegensatz zur gegenwärtigen Praxis, bei der oftmals ein einzelner Transportdienstleister für den Transport von Waren über beträchtliche Entfernungen verantwortlich ist, verfolgt das Physical-Internet-Konzept den Ansatz aufgeteilter und anbieterunabhängiger Transporte. Das bedeutet, dass Waren auf ein anderes Transportmittel umgeschlagen werden, wenn für ein Teilstück der Strecke ein klimafreundlicheres Verkehrsmittel zur Verfügung steht. Aber das muss nicht zwangsläufig die Bahn sein, es kann beispielsweise der nur zur Hälfte gefüllte LKW eines anderen Anbieters sein, welcher die Strecke ohnehin fährt.
Durch die horizontale Kooperation, also die verstärkte Zusammenarbeit der beteiligten Akteure und daraus resultierende Bündelungseffekte, entstehen erhebliche Einsparungspotenziale.
So können für ausgewählte Relationen durch Kollaboration und Optimierung sowohl eine Verbesserung der Fahrzeugauslastung um 7% bis 15% als auch eine CO2-Reduktion von 25% bis 50% erreicht werden. Selbst wenn ausschließlich nach Kosten optimiert und mehr kollaboriert wird, sind immerhin schon 16% CO2-Reduktion möglich.
Mit IoT auf dem besten Weg zur Umsetzung des Physical Internet
Vor allem der Einsatz von IoT birgt erhebliches Potenzial für die Umsetzung des Konzeptes Physical Internet, beispielsweise in den folgenden Anwendungen:
- Straßensensoren zum Verkehrsmonitoring à Datenauswertung und Optimierung über z.B. einen Digitalen Zwilling à Zurückspielen in das aktive Verkehrsmanagement
- Digitale Verkehrszeichen und Apps bzw. TMS, die Fahrer in Echtzeit über Abweichungen und Routenoptimierung informieren
- Radar und automatische Identifikationssysteme zur Koordinierung des Schiffsverkehrs
- akustische und visuelle Sensoren zur Überwachung des Zustandes von Gleisen und Rädern der Züge
- SmartCargo-Geräte (GPS) zur Positionsbestimmung und Stoßerkennung – europaweites Tracking und Tracing von Güterwaggons zur besseren Organisation der Assets
- Platooning à Autonomes bzw. automatisiertes Fahren von vernetzten Fahrzeugen in Gruppen – zum Beispiel LKW-Kolonnen[AS3] [SS4]
- Wiegesensoren auf Assets wie Containern, um Aussagen zur Bündelung von Transporten treffen zu können
Um das Physical Internet in Europa und Österreich flächendeckend zum Leben zu erwecken, sind Anstrengungen auf allen Seiten notwendig. So müssen Verlader, Kunden und Logistiker vom Konzept und von den positiven Effekten der Zusammenarbeit überzeugt werden.
Effiziente Transportlogistik und Klimaschutz gehen Hand in Hand
Helfen soll hier das vom Bundesministerium für Klimaschutz (BMK) geförderte Leitprojekt „PhysICAL“: Vier Showcases in typisch österreichischen Branchen demonstrieren bis zum Jahr 2025 die ökonomischen Vorteile und den ökologischen wie sozioökonomischen Nutzen.
Insgesamt 17 Projektpartner arbeiten gemeinsam in vier verschiedenen Piloten an der Realisierung und beweisen, dass eine enge Zusammenarbeit von Logistikern und Transportwirtschaft in Österreich und ganz Europa, die fundamentale Transformation mit sich bringen kann, die wir für unsere Gesellschaft und nachfolgende Generationen anstreben.
Wer mehr über Effizienz, Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Transportlogistik und das Physical Internet wissen will, informiert sich am besten über die PhysICAL Projektseite der Fraunhofer Austria Research GmbH.
Kurz-CV der Gastautorin
Dr. Sandra Stein ist Forschungsleiterin der Fraunhofer Austria Research GmbH und Lehrgangsleiterin des MBA Mobility Transformation an der TU Wien. Die Fraunhofer-Gesellschaft mit Sitz in Deutschland ist die weltweit führende Organisation für anwendungsorientierte Forschung.
Die Forschungsschwerpunkte von Dr. Stein sind Transportlogistik, insbesondere Physical Internet, integrierte Transport- und Produktionsplanung und FTI in der Logistik. Sie leitet das österreichische Mobilitätsleitprojekt „PhysICAL – Physical Internet through cooperative Austrian Logistics“ und ist Key-Researcher im von der Europäischen Kommission geförderten Projekt „ReMuNet – Resilient Multimodal Transport Networks“. Zudem ist sie Mutter von drei wunderbaren Kindern im Alter von acht, sechs und zwei Jahren.